Informationen zur digitalen Briefausgabe Ernst Kantorowicz

Schätzungsweise rund 1.500 Briefe schrieb Ernst Kantorowicz, einer der bedeutendsten Mediävisten des 20. Jahrhunderts. Seine umfangreiche Korrespondenz ist nicht nur wegen des großen Spektrums an Korrespondenten eine erstrangige Quelle für die wissenschaftlichen Netzwerke und die Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts, sondern spiegelt in Kantorowicz’ bewegter Biografie politische Entwicklungen des 20. Jahrhunderts wider.

Biografisches

Ernst Kantorowicz wurde am 3. Mai 1895 in Posen in die großbürgerliche Familie eines Spirituosenfabrikanten geboren. Das wissenschaftliche Interesse des jungen Mannes galt der Nationalökonomie und der Alten Geschichte. Diese Fächer studierte er in München und Heidelberg, wo er in engsten Austausch mit dem Dichter Stefan George und seinem Umfeld kam. Wohl von George zu einer Biographie des Stauferkaisers Friedrich II. angeregt, schrieb er sein berühmtes Werk, das 1927 erschien und den 32-Jährigen mit einem Schlag zu einer Person des öffentlichen Interesses machte. Kantorowicz’ erstes Buch wurde in mehrere Sprachen übersetzt und erfährt bis heute Neuauflagen.
Um das wissenschaftliche Fundament seiner Biografie offen zu legen und damit der Kritik von etablierten Mediävisten zu begegnen, verfasste Ernst Kantorowicz einen Ergänzungsband zu den Quellen, auf denen das Buch beruht. Diese Arbeit erledigte er ab 1928 großteils in den Räumen der Monumenta Germaniae Historica in Berlin. Der Ergänzungsband erschien 1931 und verschaffte seinem Autor ohne regelgerechte Habilitationsschrift einen Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte in Frankfurt am Main.
1938 emigrierte Ernst Kantorowicz, der sein Judentum nie verborgen hatte und 1934 zwangsemeritiert worden war, über Oxford in die USA, wo er bis 1949 in Berkeley und ab 1951 am Institute for Advanced Studies in Princeton eine fruchtbare Lehrtätigkeit entfaltete. 30 Jahre nach seinem ersten veröffentlichte er 1957 seinen zweiten Bestseller: The king’s two bodies - ein Buch, das eine erstaunliche Rezeption in unterschiedlichsten geisteswissenschaftlichen Fächern erfährt. Am 9. September 1963 verstarb „EKa“, wie er sich von seinen Freunden nennen ließ.

Korrespondenz

Neben der lebenslang intensiv gepflegten Korrespondenz mit Familienmitgliedern, Gefährtinnen und Gefährten, Freunden und dem Kreis um den Dichter Stefan George, dessen Mitglieder wichtige Korrespondenzpartner waren, treten Briefwechsel mit führenden Mediävisten wie dem einflussreichen MGH-Vorsitzenden Paul Kehr oder Friedrich Baethgen, dem ersten Präsidenten der MGH nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Briefe aus Oxford und den USA nach Kantorowicz’ Emigration beleuchten eindringlich das Schicksal eines Emigranten, der sich eine neue Existenz aufbauen musste, und zeigen die Bedeutung der wechselseitigen Hilfe unter emigrierten Kollegen und Freunden. Hautnah erfahrbar werden die zögernde Kontaktaufnahme mit deutschen Kollegen in der Nachkriegszeit, die Suche nach Freunden, die schmerzhafte Auseinandersetzung mit dem Holocaust, dem Familienmitglieder und Freunde von Ernst Kantorowicz zum Opfer gefallen waren, und die schwere Wiederannäherung an Deutschland.

Das Projekt einer digitalen Briefausgabe Ernst Kantorowicz

Projektphase 1
2010 gaben der Ordinarius für Mittelalterliche Geschichte in Frankfurt am Main, Prof. Dr. Dr. h.c. Johannes Fried, der Direktor des Deutschen Literaturarchivs Marbach, Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich Raulff, und der Professor für Deutsche Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin und Präsident der Akademie für Literatur und Sprache, Prof. Dr. Ernst Osterkamp, den Startschuss für dieses Projekt. Geplant waren eine digitale Briefausgabe und eine gedruckte Auswahledition, gefördert wurde das Projekt bis 2017 größtenteils von der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Die Digitalisate von rund 1.000 Kantorowicz-Briefen wurden von den Mitarbeitenden gesammelt, teilweise transkribiert und kommentiert.

Projektphase 2
Die grundlegende Biographie von Prof. em. Robert Lerner (Northwestern University/Illinois), 2017 in den USA und 2020 in deutscher Übersetzung mit Erweiterung erschienen, bot die Grundlage für die Wiederaufnahme des Projekts 2023. Der Autor unterstützt die Wiederaufnahme des Projekts durch die MGH und stellte seine Sammlung von Kantorowicz-Briefen zur Verfügung. Ein weiterer Förderer des Projekts ist Dr. Eckhart Grünewald (Frankfurt am Main), Kantorowicz-Kenner mit Forschungsschwerpunkt Kantorowicz und George-Kreis (Dissertation erschienen 1982) und entsprechendem Privatarchiv.

Danksagung

Zahlreiche Personen und Institutionen leisten zum Gelingen dieser Briefausgabe einen wichtigen Beitrag, ihnen allen sei an dieser Stelle herzlich gedankt.

Ohne Unterstützung durch Forschende, Privatpersonen und Einrichtungen, die in Besitz von Briefen von und an Ernst Kantorowicz sind, wäre dieses Projekt nicht möglich. Daher geht ein besonderer Dank für die Bereitstellung von Quellenmaterial an:
Archiv des Deutschen Historischen Instituts Rom
Deutsches Literaturarchiv Marbach
Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin
Leo Baeck Institute, New York
Staatsarchiv Hamburg
Stadtarchiv Soest
Stefan George Archiv, Stuttgart (Dr. Maik Bozza)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Prof. Dr. Robert E. Lerner (Privatbesitz)
Dr. Eckhart Grünewald (Privatbesitz)
Prof. Dr. Christoph Perels (Privatbesitz)

Das Copyright an den Briefen hält Frau Ariane Phillips, die Großnichte von Ernst Kantorowicz.

Falls Rechteinhaber nicht aufgeführt sein sollten, wird um Mitteilung gebeten.