Auch diesen Herbst und Winter laden die MGH zu Online- und Präsenzveranstaltungen ein: zu einem Vortrag über Karl Brandi in der Online-Reihe „Vorträge zur Geschichte der Mittelalterforschung“ und zu drei Vorträgen über sehr unterschiedliche mittelalterliche Quellen in der Reihe „Zurück zu den Quellen“; anlässlich des Erscheinens des Sammelbandes „Zwischen Vaterlandsliebe und Ausgrenzung – Die jüdischen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der MGH“ zu einem Vortrag über die Entwicklung des Antisemitismus im universitären Umfeld im 19. und 20. Jahrhundert und zu einem Podiumsgespräch in Kooperation mit dem Jüdischen Museum München (Informationen zur Anmeldung für alle Veranstaltungen am Ende des Beitrags).
Dienstag, 24.10.2023, 18 Uhr: Von Logbuch, Zoll und Gold. Theologiegeschichte(n) post mortem in Ost und West
Online-Vortrag (Zoom) von Dr. habil. Andrea Riedl
„An welchem Ort müssen wir uns die Seelen der Verstorbenen denken, die vor ihrem Tod keine Zeit mehr hatten, die Konsequenzen ihrer Sünden zu sühnen?“ Ausgehend von dieser Frage eines Franziskaners entspann sich im Jahr 1235 in Süditalien ein Disput um Fragen der Eschatologie und des sog. Zwischenzustandes der verstorbenen Seelen. Dem Bericht des griechischen Gesprächspartners Georgios Bardanes zufolge insistierte der Lateiner auf einem Läuterungsprozess durch Feuer, um die Verstorbenen – unterstützt durch Gebet und Almosen der Lebenden – der Hölle zu entreißen und sie dem Himmel näherzubringen. Der Grieche hingegen bestand darauf, dass es kein Urteil vor dem Schiedsspruch Christi am Jüngsten Tag gebe. Ein solches anzunehmen sei falsch und blasphemisch. Die Seelen der Verstorbenen warten vielmehr passiv, gewissermaßen aufbewahrt an dunklen Stätten, wo sie einen Vorgeschmack auf die beiden Pole des Jenseits, auf Paradies und Höllenstrafen erhielten.
Szenen wie diese dürfen wir in großer Zahl im Lauf der Theologiegeschichte des Christentums quer durch die Epochen annehmen. Die Akteurinnen und Akteure sowie die Rahmengegebenheiten variieren, aber die Fragestellung bleibt. Der Vortrag begibt sich auf Spurensuche nach theologischen Konzepten in Ost und West, nach ihrem ereignisgeschichtlichen Kontext, dem Verbindenden und Trennenden zwischen den beiden kirchlichen Traditionen und der Frage der Überlieferung wichtiger eschatologischer Motive, die die Autoren zu kreativen Verarbeitungen angeregt haben.
Andrea Riedl studierte Katholische Theologie und Klassische Philologie in Graz und Thessaloniki; Promotion 2016 in Wien; Habilitation 2021 in Salzburg; seit 2020 ist sie Fachvertreterin für Kirchengeschichte am Institut für Katholische Theologie an der Technischen Universität Dresden. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der theologischen Mediävistik und der Frage nach den Beziehungen zwischen lateinischer Westkirche und byzantinischer Ostkirche im Mittelalter. 2020 erschien im Corpus Christianorum (Continuatio Mediaevalis) der von Andrea Riedl edierte „Tractatus contra Graecos“.
Dienstag, 28.11.2023, 18 Uhr: Jüdische Erfahrungen auf dem akademischen Feld und der Antisemitismus in Deutschland (1819-1945)
Vortrag von Prof. Dr. Ulrich Wyrwa im Institut der MGH / Ludwigstr. 16 / 80539 München (mit Stream über Zoom)
Das ‚lange‘ 19. Jahrhundert war von fundamentalen gesellschaftlichen Umbrüchen geprägt, in dessen Verlauf die zuvor an den Rand gedrängte jüdische Minderheit einen bemerkenswerten sozialen Aufstieg durchmachte und in das Zentrum der bürgerlichen Gesellschaft aufrückte. Und doch war dieser Weg überaus dornenreich, gebrochen und von heftigen Widerständen begleitet, nicht zuletzt auf dem akademischen Feld. Obgleich jüdische Wissenschaftler bemerkenswerte Leistungen erbracht haben, bekämpften antisemitische Aktivisten deren Anerkennung und Gleichberechtigung energisch. Nachdem in der Weimarer Republik letzte rechtliche Hindernisse überwunden werden konnten, kam 1933 der Bruch. Mit dem Antisemitismus an der Macht wurden Jüdinnen und Juden aus den Universitäten und Akademien ausgeschlossen, mussten aus Deutschland fliehen oder wurden in die Vernichtungslager deportiert. Der Vortrag geht diesem Weg mit Bezügen auf die Entwicklung der Monumenta Germaniae Historica nach.
Ulrich Wyrwa studierte Geschichte und Philosophie in Heidelberg, Rom und Hamburg, wo er 1988 promovierte. 2003 habilitierte er sich an der Universität Potsdam mit einer vergleichenden Studie über die Emanzipation der Juden in der Toskana und in Preußen, 2005 bis 2015 war er wissenschaftlicher Leiter internationaler Doktorandenkollegs zum Antisemitismus in Europa (1879–1914 / 1914–1923) am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin. Ulrich Wyrwa ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam.
Mittwoch, 13.12.2023, 18 Uhr: Karl Brandi (1868–1946). Mediävist, Frühneuzeithistoriker und Wissenschaftsmanager im Spiegel seiner Autobiographie
Online-Vortrag (Zoom) von Dr. Lena Oetzel
Karl Brandi war nicht nur ein vielseitig interessierter und wissenschaftlich produktiver Historiker, der sich ebenso für mittelalterliche Urkunden und historische Hilfswissenschaften interessierte, wie für Reformation und Renaissance oder auch die Osnabrücker Landesgeschichte. Zu seinen bekanntesten Publikationen gehören seine Dissertation zu den Reichenauer Urkundenfälschungen und die Biographie Karls V. (1500-1558). Darüber hinaus war Brandi ein sehr aktiver „Wissenschaftsmanager“. Als solcher stand er immer wieder in engem Kontakt mit den MGH und fungierte ab 1937 als Mitherausgeber des Deutschen Archivs, der Hauszeitschrift der MGH.
In seiner Autobiographie „Aus 77 Jahren. Lebensgeschichte und wissenschaftliche Entwicklung vor dem Hintergrunde der Zeit“, die nicht von ihm selbst fertiggestellt werden konnte, reflektierte Karl Brandi sowohl über seine eigenen wissenschaftlichen Arbeiten als auch über die vielen von ihm begleiteten, angestoßenen und unterstützten Projekte. In einigen wenigen Passagen der Autobiographie äußerte Brandi sich über den NS und hatte laut seiner Notizen einen eigenen Punkt „Familie und Nationalsozialismus“ geplant, den er jedoch nicht mehr schrieb. Hauptsächlich gibt die Autobiographie einen gut informierten Einblick in die Netzwerke und das Wissenschaftssystem des frühen 20. Jahrhunderts.
Dr. Lena Oetzel studierte Mittlere und Neuere Geschichte, Politikwissenschaften und Philosophie in Bonn und wurde 2012 an der Paris Lodron Universität Salzburg mit dem Thema „Gespräche über Herrschaft. Herrscherkritik bei Elisabeth I. von England (1558–1603)“ promoviert. . Von 2020 bis 2022 war sie Stipendiatin am Institut für die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraumes der ÖAW. Aktuell ist sie als Postdoc an der Universität Salzburg beschäftigt und arbeitet an ihrer Habilitation zum Westfälischen Friedenskongress. Gemeinsam mit Arno Strohmeyer ediert Lena Oetzel die Autobiographie Karl Brandis.
Mittwoch, 17.1.2024, 19 Uhr: Zerrissene Biographien und abgebrochene Forschung - jüdische Historikerinnen und Historiker
Podiumsgespräch mit Prof. Dr. Magnus Brechtken (stellv. Direktor des Instituts für Zeitgeschichte München – IfZ), Dr. Kristina Milz (IfZ), Dr. Stefan L. Wolff (Forschungsinstitut für Technik- und Wissenschaftsgeschichte/Deutsches Museum); Moderation Prof. Dr. Dr. h.c. Martina Hartmann (Präsidentin der Monumenta Germaniae Historica – MGH)
Jüdisches Museum München / St.-Jakobs-Platz 16 / 80331 München
Der im Oktober 2023 erschienene Aufsatzband „Zwischen Vaterlandsliebe und Ausgrenzung – Die jüdischen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der MGH“ mit 28 Portraits von Gelehrten jüdischer Herkunft im 19. und 20. Jahrhundert, verfasst von Forschenden, die teilweise selbst die Arbeit der Portraitierten im 21. Jahrhundert fortführen, gab den Anlass, in Kooperation mit dem Jüdischen Museum München zu einem Podiumsgespräch einzuladen.
Erstmalig beleuchtet die traditionsreiche Forschungseinrichtung Monumenta Germaniae Historica ihre Rolle in den Biografien der Portraitierten. Der Band belegt eindrücklich, mit welchen Schwierigkeiten jüdische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konfrontiert waren – bis hin zur Ermordung im NS-Regime. Eigentlich jeder Lebenslauf der jüdischen Monumentisten hätte sich ohne das Dritte Reich und den Antisemitismus zuvor anders entwickelt. Betroffen von Diskriminierung, Verfolgung und Emigration mussten viele ihre Forschungsarbeiten abbrechen – neben dem menschlichen auch ein wissenschaftlicher Kahlschlag.
Donnerstag, 22.2.2024, 18 Uhr: Neue Quellen zur mittelalterlichen Geschichte Südwestdeutschlands: Zur Überlieferung der sog. St. Galler Annalen und unbekannter Reichenauer Urkunden in der Bibliothek Konrad Peutingers (1465–1547)
Vortrag von Dr. Benedikt Marxreiter im Institut der MGH / Ludwigstr. 16 / 80539 München (mit Stream über Zoom)
Die Staats- und Stadtbibliothek Augsburg verwahrt unter den Signaturen 2°Cod 254 und 2°Cod Aug 395 zwei äußerlich unscheinbare, für die Erforschung der mittelalterlichen Geschichte Südwestdeutschlands indes höchst bedeutsame Kodizes vom Beginn des 16. Jahrhunderts. Sie beinhalten zum einen eine Kopie der sogenannten St. Galler Annalen für die Jahre 1054 bis1102, zum anderen ein Abschriften-Konvolut von früh- und hochmittelalterlichen Urkunden der Reichsabtei Reichenau, von denen jeweils sonst keine Textzeugen mehr existieren. Der Vortrag informiert über die (Wieder-)Entdeckung der Aufzeichnungen durch den Münchner Historiker Alois Schütz († 2017) Mitte der 1980er Jahre, stellt die inhaltlichen Besonderheiten der Quellen heraus und geht der Frage nach, wie sie ihren Weg in die Bibliothek des Augsburger Humanisten Konrad Peutinger (1465–1547) gefunden haben könnten.
Benedikt Marxreiter studierte Geschichte und Germanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und arbeitet seit 2014 als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei den MGH. 2016 promovierte er bei Martina Hartmann zum Thema „Bern von Reichenau, De nigromantia seu divinatione daemonum contemnenda. Edition und Untersuchung“. Derzeit befasst er sich in seinen Forschungen vor allem mit der früh- und hochmittelalterlichen Geschichtsschreibung des Bodenseeraums und der sog. Bamberger Weltchronistik.
Mittwoch, 6.3.2024, 18 Uhr: Fortunatę qui tam pulchram discipulam docere habes grammaticam! - Frauen in den Erzählungen Ekkeharts IV. von St. Gallen
Vortrag von Prof. Dr. Ernst Tremp im Plenarsaal der Bayerischen Akademie der Wissenschaften / Alfons-Goppel-Str. 11 (Residenz) / 80539 München
Am Vortragsabend der MGH und der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften spricht Prof. Dr. Ernst Tremp, Editor der Neuausgabe der St. Galler Klostergeschichten (Casus sancti Galli) Ekkeharts IV., über die Erwähnungen von Frauen in den Erzählungen aus dem berühmten Benediktinerkloster im 10. Jahrhundert, aufgeschrieben von dem gelehrten Leiter der St. Galler Klosterschule um die Mitte des 11. Jahrhunderts.
Der Benediktinermönch Ekkehart IV. († um 1057) setzte die St. Galler Klostergeschichten bis zum Kaiserbesuch Ottos I. und Ottos II. in St. Gallen im Jahr 973 fort, die sein Vorgänger Ratpert im späten 9. Jahrhundert begonnen hatte. Die Meisterschaft der Sprache, die Lebendigkeit und Farbigkeit der Erzählung, die Fülle an Nachrichten über das damalige Leben im Kloster, die Einblicke in den Schulbetrieb, die Charakterisierung alt sankt-gallischer Schulmeister und Gelehrter, die Herrscherbesuche im Kloster – dies alles macht Ekkeharts Casus weit über St. Gallen hinaus zu einem der berühmtesten Geschichtswerke des früheren Mittelalters.
Ernst Tremp studierte an der Universität Freiburg/Schweiz Mittelalterliche Geschichte, Historische Hilfswissenschaften und Theologie, wurde mit einer Arbeit über das Zisterzienserkloster Altenryf (Hauterive) im Hochmittelalter promoviert, habilitierte sich über Thegan von Trier und erhielt 1993 eine Titularprofessur in Freiburg. Tremp wirkte von 2000 bis 2013 als Direktor der Stiftsbibliothek St. Gallen und ist seit 2010 Mitglied der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae Historica.
Donnerstag, 18.4.2024, 18 Uhr: Die Neuedition der Institutio sanctimonialium von 816
Online-Vortrag (Zoom) von Dr. Dominik Trump
Die bis heute hin gültige Edition der Institutio sanctimonialium, der im August 816 auf einer großen Versammlung in Aachen erlassenen Regel für religiöse Frauengemeinschaften, hat Albert Werminghoff 1906 im Rahmen seiner Concilia-Bände vorgelegt. Vor einigen Jahren äußerte Gerhard Schmitz berechtigte grundlegende Kritik an der Qualität und der Anlage von Werminghoffs Edition. Dies betrifft unter anderem die Verlässlichkeit der Kollation, die Gestaltung des Apparates und die Quellenkritik. Darüber hinaus sind weitere Textzeugen aufgetaucht, die Werminghoff nicht berücksichtigen konnte.
Dies alles liefert Anlass genug, um eine neue kritische Edition der Institutio zu erarbeiten, die erstmals auch von einer deutschen Übersetzung begleitet werden wird. Der Vortrag gibt Einblicke in ein noch am Anfang stehendes, laufendes Editionsprojekt und möchte insbesondere die neu entdeckten Handschriftenfunde in den Mittelpunkt rücken.
Dominik Trump studierte an der Universität zu Köln und wurde 2020 bei Karl Ubl mit einer Arbeit aus dem Bereich der frühmittelalterlichen Rechtsgeschichte promoviert. Von 2014 bis 2023 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Kölner Akademie-Projekt „Edition der fränkischen Herrschererlasse“. Seit September 2023 ist Dominik Trump Mitarbeiter der MGH.
Um Ihre Anmeldung wird gebeten per E-Mail an annette.marquard-mois@mgh.de. Bei den Präsenzveranstaltungen ist die Zahl der Plätze begrenzt. Bitte beachten Sie, dass die Veranstaltungen an unterschiedlichen Tagen und Orten (bzw. auf Zoom) stattfinden. Die Zoom-Zugangsdaten erhalten Sie einen Tag vor der Veranstaltung.