Auch diesen Herbst und Winter laden die MGH zu Online- und Präsenzveranstaltungen ein: zu einem Vortrag über Robert Holtzmann und sein Tagebuch 1941-1946 in der Online-Reihe „Vorträge zur Geschichte der Mittelalterforschung“, einem Online-Vortrag „zurück zu den Quellen“ über neue Urkundenfunde im Rahmen der Friedrich II.-Urkundenedition, zwei Buchvorstellungen anlässlich der Fertigstellung von zwei mehrbändigen, sehr unterschiedlichen MGH-Editionen und der Präsentation der MGH Digitalen Briefausgabe Ernst Kantorowicz (Informationen zur Anmeldung für alle Veranstaltungen am Ende des Beitrags).
Donnerstag, 24.10.2024, 18 Uhr: Tabuthemen, Subtext und Selbstzensur. Robert Holtzmann und sein Tagebuch für die Jahre 1941 bis 1946
Online-Vortrag (Zoom) von Prof. Dr. Dr. h.c. Martina Hartmann
Mit dem Namen Robert Holtzmanns (1873-1946) verbindet man heute am ehesten noch „den Wattenbach/Holtzmann“, d.h. die Neubearbeitung von Wilhelm Wattenbachs Quellenkunde für die Zeit der Ottonen und der Salier. Dass Robert Holtzmann auch ein erfolgreicher MGH-Editor und ein einflussreicher Historiker war, ist inzwischen weniger bekannt. Von den Memoiren und Tagebüchern, die er Zeit seines Lebens verfasste, ist nur ein einziges erhalten geblieben. Was auf den ersten Blick wie die langweilige und pedantische Aufzeichnung eines alten Gelehrten aussieht, gewinnt an Informationswert, wenn man den Subtext entschlüsselt und auf Tabuthemen wie die jüdische Abstammung von Holtzmanns Ehefrau kommt. Die Rekonstruktion von Einträgen, die Holtzmann aus Angst vor Repressalien durch das NS-Regime teilweise ausschnitt, bringt unerwartete Aspekte dieses Gelehrtenlebens während und direkt nach dem Zweiten Weltkrieg ans Licht.
Martina Hartmann ist seit 2018 Präsidentin der Monumenta Germaniae Historica. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen das Früh- und Hochmittelalter, gender studies und, vor allem angestoßen durch das 200-jährige Jubiläum der MGH 2019, Wissenschaftsgeschichte (2023 Monographie über das Wissenschaftler-Ehepaar Hildegund und Ottokar Menzel 1910–1945; Editionsprojekt: Tagebuch von Robert Holtzmann 1941–1946).
Montag, 2.12.2024, 18 Uhr: Edition von Joachim von Fiores Trilogie abgeschlossen
Vortrag von Prof. Dr. Alexander Patschovsky im Institut der MGH / Ludwigstr. 16 / 80539 München (mit Stream über Zoom)
Als Band 35 der Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters erscheint die kritische Edition des umfangreichsten Werks des Kalabreser Abts Joachim von Fiore († 1202): der Apokalypsenkommentar, in dem er Vers für Vers die Johannes-Apokalypse als Regieanweisung Gottes für den Gang der Weltgeschichte darlegt. Joachim von Fiore ist bis heute vor allem wegen seiner These der drei Weltzeitalter auf Basis der Dreifaltigkeit bekannt, deren drittes, das Zeitalter des Heiligen Geistes, den Menschen ein friedliches Zusammenleben bringen werde. Das wird man nach Lektüre des Apokalypsenkommentars ein wenig modifizieren müssen, denn Joachim ging es nicht so sehr um das Erstreben eines idealen Lebensmodells im Diesseits als um die Reparatur des Sündenfalls durch einen recht schmerzhaften Erziehungsprozess der Menschheit für eine Existenz um Gottes Thron im Jenseits.
Mit der kritischen Edition von Alexander Patschovsky ist nun der letzte Teil von Joachims Trilogie vollständig als MGH-Edition veröffentlicht, bestehend aus dem Psalterium decem cordarum, das die hermeneutische Grundlage für Joachims Auslegungen schafft, der Concordia Novi ac Veteris Testamenti als realgeschichtliche Analyse und dem Apokalypsenkommentar als gesellschaftskritische Entfaltung von Joachims Philosophie. Die Trilogie, bisher nur in schwer lesbaren Venezianer Frühdrucken benutzbar, liegt nun in Kooperation zwischen dem Istituto Storico Italiano per il Medio Evo, das für die gesammelten Werke Joachims federführend ist, und den MGH als kritische Ausgabe vor. Alexander Patschovsky befasst sich seit 20 Jahren mit Joachim von Fiore und wird seine Edition und das Unternehmen der opera omnia des süditalienischen Ordensgründers, Theologen und Visionärs vorstellen.
Alexander Patschovsky studierte an den Universitäten Göttingen, Wien und München Geschichte, Germanistik und Latein und wurde mit einer Arbeit über den Passauer Anonymus (ein Sammelwerk über Juden, Antichrist und Ketzer), betreut von Herbert Grundmann, dem Präsidenten der MGH, 1968 promoviert (Rigorosum 1966). Als Mitarbeiter der MGH seit 1966, folgte, angeregt von Horst Fuhrmann, die Habilitation an der LMU im Wintersemester 1977/78 mit einer Arbeit über „Quellen zur böhmischen Inquisition im 14. Jh.“, 1988 die Berufung auf den Lehrstuhl für mittlere Geschichte in Nachfolge von Arno Borst an der Universität Konstanz. Nach dem Erreichen der Altersgrenze 2005 galt die Haupttätigkeit der editorischen Erschließung der Werke Joachims von Fiore, die im Rahmen einer 1990 ins Leben getretenen Kommission zur kritischen Herausgabe der Opera omnia Joachims von Fiore, verankert im Centro Internazionale di Studi Gioachimiti in S. Giovanni in Fiore, mit Erscheinen von Joachims Apokalypsenkommentar bei den MGH im September 2024 nahezu an ihr Ende gekommen ist.
Donnerstag, 23.1.2025, 18 Uhr: Verborgene Schätze? Was uns kaputte Handschriften mitteilen können
Online-Vortrag (Zoom) von Dr. Katharina Gutermuth
Trotz akribischer, teilweise jahrzehntelang dauernder Vorarbeiten für eine Diplomata-Edition der MGH gelingen den ‚Urkundionen‘ immer wieder Zufallsfunde. Dies betrifft sowohl neue Überlieferungen bekannter Urkunden als auch Neufunde unbekannter Urkunden. Ein Paradebeispiel ist die 2004 entdeckte Innsbrucker Briefsammlung, die Josef Riedmann 2017 in der Reihe Epistolae für die MGH edierte. Nicht ganz so umfangreich ist die Sammlung, die nun im Zuge von Überlieferungsrecherchen für den 7. Band der Urkunden Kaiser Friedrichs II. von Katharina Gutermuth wiederentdeckt wurde. Es handelt sich um drei Fragmente mit Texten aus den Petrus de Vinea-Sammlungen bzw. ähnlichen Schreiben. Diese Fragmente stellen die Bearbeiter der Friedrich-Urkunden allerdings vor neue Herausforderungen: Durch den schlechten Erhaltungszustand der Handschriften war eine Zuweisung der enthaltenen Texte anhand von Digitalisaten nicht möglich, darüber hinaus erwuchs der Verdacht, dass einige Schreiben bislang gar nicht bekannt waren – eine Überprüfung vor Ort in einem südosteuropäischen Archiv ergab Erstaunliches.
Katharina Gutermuth studierte Geschichtliche Hilfswissenschaften, Klassische Archäologie, und Kunstgeschichte in München und Rom. 2019 promovierte sie mit der Edition des Traditionsbuches des Kanonissenstifts Obermünster in Regensburg. Seit 2004 arbeitet sie beim Projekt der Edition der Urkunden Kaiser Friedrichs II. mit, zunächst als studentische und später wissenschaftliche Hilfskraft, seit 2015 als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Seit September 2022 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin der MGH.
Donnerstag, 20.2.2025, 18 Uhr: Fenster in die MGH-Geschichte des 20. Jahrhunderts: Die digitale Briefausgabe Ernst Kantorowicz
Vortrag von Andreas Öffner M.A. und Prof. Dr. Dr. h.c. Martina Hartmann im Institut der MGH / Ludwigstr. 16 / 80539 München (mit Stream über Zoom)
Die Bekanntheit des Mittelalterhistorikers Ernst H. Kantorowicz knüpft sich an seine zwei Hauptwerke, die für unterschiedliche Formen der Geschichtsforschung und -darstellung stehen: die im Geist des George-Kreises entstandene, in der historischen Zunft seit jeher kontrovers diskutierte Monographie zu Stauferkaiser Friedrich II. (1927) und seine in den Kulturwissenschaften breit rezipierten Studien zu „The King’s Two Bodies“ (1957). Zugleich markieren die Werke zwei Lebensphasen Kantorowicz’, der 1938 als Jude ins Exil getrieben wurde und in den USA eine neue Heimat fand. Einen tiefen Einblick in diese bewegte Biographie im Zeitalter der Extreme wie auch die wissenschaftlichen Aktivitäten und Netzwerke auf bzw. zwischen beiden Seiten des Atlantiks eröffnet seine Korrespondenz. Im August 2024 machten die MGH eine erste Auswahl seiner schätzungsweise 1.500 erhaltenen Schreiben in Form einer digitalen Briefausgabe online zugänglich. Während – im Anschluss an ein DFG-gefördertes Editionsprojekt der Jahre 2010–2014 – langfristig alle erhaltenen Briefe aus der Feder Kantorowicz’ in kommentierter Form vorgelegt werden sollen, verfolgt diese Auswahl auch ein Anliegen in eigener Sache: Sie umfasst alle bislang aufgespürten Briefe an Personen aus dem Umfeld des Forschungsinstituts, dem Kantorowicz vor wie nach seiner Emigration verbunden war.
Im Rahmen des Vortrags wird die Briefdatenbank anhand von Beispielen vorgestellt und über laufende Arbeiten wie Perspektiven berichtet.
Andreas Öffner studierte in Tübingen Literaturwissenschaft, Neuere und Neueste Geschichte sowie Mittelalterliche Geschichte. Als Dissertation legte er eine Neuedition des bischöflichen Rescriptum consultationis sive exhortationis von 829 vor. Seit 2022 ist Andreas Öffner wissenschaftlicher Mitarbeiter der MGH im Bereich Digital Humanities.
Dienstag, 8.4.2025, 18 Uhr: Was lange währt: Die Edition der Briefe des Erzbischofs Hinkmar von Reims
Vortragsabend anlässlich der Veröffentlichung des letzten Bandes der kritischen Edition mit Dr. Isolde Schröder und Dr. Matthias Schrör im Institut der MGH / Ludwigstr. 16 / 80539 München (mit Stream über Zoom)
Die ca. 600 Briefe des Erzbischofs Hinkmar von Reims († 882) an geistliche und weltliche Große zählen zu den herausragenden Quellen für die Geschichte des Frankenreichs im 9. Jahrhundert. In seinen Schriften tritt Hinkmar als Kanonist, Theologe und einflussreicher politischer Berater fränkischer Herrscher hervor. Die zahlreichen, teilweise kaum genau datierbaren Briefe des nun abgeschlossenen dritten und letzten Faszikels von MGH Epistolae 8 zeigen aber auch einen Oberhirten, der sich zunehmend mit liturgischen, pastoralen, disziplinarischen und sogar esoterischen Fragen beschäftigt, dabei jedoch ebenso um das Wohl seines Erzbistums und den Erhalt des Reimser Kirchengutes besorgt ist. Der Band umfasst Register und Konkordanzen zu allen drei Faszikeln und ermöglicht neue Zugänge und Erkenntnisse zum breit gefächerten Wirken Hinkmars.
Nach einer kurzen Einführung in die – teilweise als tragisch zu bezeichnende – Vorgeschichte dieser Edition durch Martina Hartmann stellt Matthias Schrör einige der wichtigsten Quellen vor, aus denen Hinkmar in seinen Briefen zitierte. Ein Augenmerk gilt dabei den Handschriften, die der Reimser Erzbischof zur Abfassung seiner Briefe benutzte und von denen mehrere erhalten sind. Einige dieser Vorlagen weisen Gebrauchsspuren auf, die Einblicke in die Arbeitsweise Hinkmars erlauben. Isolde Schröder geht zusammenfassend auf die heterogene Überlieferung der Briefe und Traktate sowie deren Inhalt und möglichen Zusammenhang mit der Rezeption ein.
Isolde Schröder studierte von 1967 bis 1973 Romanistik und Geschichte in Aachen und Tübingen, wurde 1980 in Regensburg mit einer Arbeit über die westfränkischen Synoden des 10. Jahrhunderts (MGH Hilfsmittel 3) promoviert und arbeitete von 1977 bis 2010 im Schuldienst. Sie wirkte an der Edition von MGH Concilia 5 mit und legte 2022 den Band Epistolae variorum 798–923 (MGH Epistolae 9) vor.
Matthias Schrör studierte 2000 bis 2005 an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Mittelalterliche Geschichte, Neuere und Neueste Geschichte, Politikwissenschaften und Philosophie und wurde 2007/08 mit einer Arbeit zur papstgeschichtlichen Wende des 11. Jahrhunderts promoviert. Nach Tätigkeiten an den Universitäten Bochum und Düsseldorf sowie im Archivdienst ist er seit 2017 Direktor der Emilie und Hans Stratmans-Stiftung in Geldern. 2022 veröffentlichte Schrör Einführung und Edition der Briefe Karls des Kahlen (MGH Studien und Texte 69).
Um Ihre Anmeldung wird gebeten per E-Mail an annette.marquard-mois@mgh.de. Bei den Präsenzveranstaltungen ist die Zahl der Plätze begrenzt. Bitte beachten Sie, dass die Veranstaltungen an unterschiedlichen Tagen und Orten (bzw. auf Zoom) stattfinden. Die Zoom-Zugangsdaten erhalten Sie einen Tag vor der Veranstung.