Die Bedeutung der spätkarolingischen Zeit für Tradition und Innovation im kirchlichen Recht (MGH Schriften 58) XXXVI und 376 S. 8º. 2008. ISBN 978-3-7752-5758-9 Ln. € 45, -
Um die Grundlagen des gesellschaftlichen Lebens im modernen Europa zu verstehen, muss der Blick bis in die Karolingerzeit zurückgehen. Dabei genügt es nicht, die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen zu untersuchen, sondern auch das Kirchenrecht zu beachten, das im frühen Mittelalter rechtliche und gesellschaftliche Normen für fast alle Bereiche des Lebens formulierte. Nach bisheriger Forschungsmeinung bildet die späte Karolingerzeit keinen Einschnitt in der Entwicklung des Kirchenrechts; vielmehr sei dieses erst im Laufe des 11. Jahrhunderts auf eine neue Stufe gehoben worden. Das vorliegende Buch zeigt, dass gerade in der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts, die als eine Zeit nachlassender Produktion und Innovationskraft gilt, Aktivitäten zur Bewahrung und Weitergabe der bereits vorhandenen kirchlichen Rechtssammlungen deutlich hervortreten. Außerdem sind in den Jahrzehnten zwischen 850 und 950 neue Sammlungen entstanden, die auch Neuerungen einführten. So sanktionierte das Kirchenrecht bis dahin nicht bekannte Delikte wie Verwandtenmord oder Tötung von Klerikern, und auch die Intention des Delinquenten fand bereits damals - und nicht erst im 12. Jahrhundert - bei der Beurteilung der Schwere des Delikts Beachtung. In jener Zeit entstand auch das Sendgericht des seine Diözese bereisenden Bischofs, das Vergehen von Geistlichen und von Laien untersuchen und unter Androhung der Exkommunikation mit Bußauflagen bestrafen sollte und für die Praxis der kirchlichen Gerichtsbarkeit zu weit reichender Bedeutung kam.