Aktuelles , Schätze aus Archiv und Bibliothek | 04. Jul. 2022

Schätze aus 200 Jahren MGH-Geschichte – Folge 19: Hauen und Stechen unter NS-Funktionären

In loser Folge werden Stücke aus unserem Archiv und unserer Bibliothek vorgestellt: Raritäten und Dokumente mit besonderer Geschichte wie auch Schriftstücke, die Einblicke in die Jahre der NS-Diktatur erlauben.


Heute Nachmittag 3 ¼ Uhr kam, auf Grund einer bereits erfolgten Anmeldung durch seinen Geschäftsführer zu der am Vormittag verabredeten Stunde zu mir ins Reichsinstitut Herr Walter Frank“, notierte der frisch ernannte Leiter des NS-Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde (MGH), Prof. Dr. Edmund E. Stengel, am 20. Dezember 1937. Im April 1935 waren die vormaligen Monumenta als nationalsozialistisches Reichsinstitut direkt dem Reichswissenschaftsministerium unterstellt worden. Der Leiter wurde nicht mehr – wie zu Zeiten der gelehrten Gesellschaft – von der Zentraldirektion gewählt, sondern durch das Ministerium ernannt und als Beamter entlohnt.


Akribisch memorierte Stengel den Verlauf des Gesprächs. Seine Notizen blieben in einem Ordner mit Schriftstücken zu Verwaltungs- und Wissenschaftsangelegenheiten aus Stengels Amtszeit bei den MGH (1937-1941) erhalten. Die vierseitige Gesprächsnotiz ist allein schon deswegen bemerkenswert, weil sie einen für die NS-Zeit typischen Umgangston zwischen Walter Frank, Präsident des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands, und seinem Amtskollegen Edmund E. Stengel erahnen lässt. So entgegnete Stengel auf die provokante Kampfansage Walter Franks, „er komme wie die Römer zu den Karthagern und trage Krieg oder Frieden in seiner Toga“: „Wenn er F[rank] darum Krieg mit mir führen wolle, so möge er es tun.“


Der 32jährige promovierte Historiker Walter Frank war 1935 zum Professor und zum Präsidenten des neu gegründeten NS-Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands ernannt worden. Seit seiner Studienzeit an der LMU in München verband ihn eine Freundschaft mit Rudolf Hess, der ihn als NS-Reichsminister förderte. Frank gehörte ebenso wie der vier Jahre ältere Rechtshistoriker und MGH-Editor Karl August Eckhardt zu den einflussreichsten nationalsozialistischen Geschichtsforschern. Mit seinem Antrittsbesuch bei dem 25 Jahre älteren Edmund E. Stengel wollte Frank vor allem eins erreichen: Der verhasste Eckhardt sollte im Reichsinstitut für ältere deutsche Geschichtskunde keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen. Obwohl Adolf Hitler im Mai 1937 persönlich befohlen hatte, Eckhardt nicht zum Leiter des Staatsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde (MGH) zu ernennen (siehe Heiber, S. 715), sah sich Walter Frank durch ihn weiterhin in seiner Machtposition bedroht - nicht zuletzt deshalb, weil er selbst mit allen Mitteln die Ernennung Eckhardts zum Leiter des Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde (MGH) hintertrieben hatte.


Dabei entbehrte Frank’s Behauptung, Eckhardt sei „kein Nationalsozialist“, jeglicher Grundlage - im Gegenteil: Karl August Eckhardt war bereits 1931 Mitglied der SA, hatte sich an Schlägereien beteiligt, Waffen versteckt usw. (Heiber, S. 858). Ab 1933 machte Eckhardt Karriere in der SS (Simon, S. 10). In den 20er Jahren hatte der junge Rechtshistoriker das Fundament für eine vielversprechende wissenschaftliche Karriere in der mittelalterlichen Rechtsbücher-Forschung gelegt. So wurde er 1928 mit 27 Jahren in Kiel zum Professor berufen, 1929 übertrugen ihm die MGH die Neuedition des Sachsenspiegels, 1930 erfolgte ein erster Ruf nach Berlin. Im Oktober 1934 wurde Eckhardt zum Hauptreferenten in der Hochschulabteilung des Reichswissenschaftsministeriums ernannt und konnte sich in der nationalsozialistischen Hochschulpolitik profilieren. In dieser Position stellte er sich erfolgreich den Bemühungen Franks um eine Professur ohne Lehrverpflichtung entgegen. Auch die Ernennung Walter Franks zum Präsidenten des neu gegründeten Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands 1935 versuchte Eckhardt zu verhindern. In den Machtkampf zwischen Walter Frank als Protegé von Alfred Rosenberg und Karl August Eckhardt als Protegé von Heinrich Himmler involvierten sich in der ersten Jahreshälfte 1937 neben Wissenschaftlern führende Protagonisten der NS-Diktatur (Heiber, S. 909f). Die Details dieses Machtkampfes, der von Anmaßungen, antisemitischen Verleumdungen, Machtgier und Rachsucht bestimmt wurde und bezeichnend war für die polykratische Struktur des NS-Regimes, sind nachzulesen bei Heiber und seit 2021 bei Mentzel-Reuters (Angaben am Ende des Beitrags).


Walter Frank positionierte sich, wie eingangs zitiert, gegenüber dem arrivierten Edmund E. Stengel als „Römer“, der „zu den Karthagern“ komme – als Vertreter eines jungen Reichs, das durch Unterwerfung etablierter Mächte zur Weltmacht aufsteigen würde. Deutlich gab er Stengel zu verstehen, dass er seine Ernennung bekämpft habe, weil er kein „Vertreter der jüngeren Generation“ sei. Das Gespräch zwischen Stengel und Frank am 20.12.1937 stand am Beginn von „endlosen, erbittert geführten Schriftwechseln, ohne dass sich der Leiter des neuhistorischen Konkurrenzunternehmens gegen den Professor aus Marburg letztlich durchsetzen konnte“ (Nagel, S. 42). Dass Edmund E. Stengel mit nationalsozialistischem Führungsstil vertraut war und sich im NS-Wissenschaftssystem zu behaupten verstand, zeigt diese (ungewollt?) erhaltene Gesprächsnotiz, deren Inhalt hier vollständig wiedergegeben wird.

A. Marquard-Mois


Transkription MGH-Archiv B 546, Bl. 20-21


Berlin W.8, den 20. Dezember 1937
Niederschrift.
Heute Nachmittag 3 ¼ Uhr kam, auf Grund einer bereits erfolgten Anmeldung durch seinen Geschäftsführer zu der am Vormittag verabredeten Stunde zu mir ins Reichsinstitut Herr Walter Frank. Sofort nachdem er Platz genommen hatte, begann er mir in einer ziemlich eingehenden und offenbar genau vorbereiteten Rede - ohne sich in dem Fluß durch gelegentlich von mir eingeworfene kurze Worte abhalten zu lassen – auseinanderzusetzen, daß er mir nicht nur einen Höflichkeitsbesuch mache sondern sein künftiges Verhalten zu mir bei dieser Gelegenheit klarlegen wolle, in rückhaltloser Offenheit, schon einleitend fiel dabei der Name K. A. Eckhardts.
Sein Kandidat für den nunmehr mit mir besetzten Posten des RI.-Leiters sei W. Engel gewesen, der ungeachtet eines Ausfalls an positiver wissenschaftlicher Leistung, den er ausdrücklich feststelle, für sich gehabt habe, daß er ein Vertreter der jüngeren Generation sei. Meine Ernennung habe er bekämpft, weil ich dies nicht sei und zugleich deshalb, weil ich mich 1930 in einer akademischen Rede als Gegner des Nationalsozialismus bekannt habe und bis 1933 Mitglied des Zentralvorstandes der deutschen Volkspartei gewesen sei. Diese Bedenken hätten auch in den Erwägungen der Parteistellen eine Rolle gespielt – wie sie seinem Wissen nach mir nicht fremd gewesen seien -, seien allerdings bei der letzten Entscheidung zurückgetreten.
Trotz dieser Bedenken sei er, damit die Dispute in der Historie endlich aufhören, geneigt, eine gemeinsame Arbeit mit mir anzustreben, wenn ein Punkt geklärt werde. Er habe gehört, daß ich beabsichtige, Herrn Eckhardt als Leiter der Abteilung Leges eine führende Stellung im RI zu geben. E. sei aber eine für ihn untragbare Persönlichkeit. Er sei kein Nationalsozialist sondern ein Volksparteiler; er habe in der Savignyzeitschrift den bekannten Nachruf auf den Juden Pappenheim geschrieben; und das habe bei der Entscheidung des Führers gegen ihn sowohl wegen der Monumenta als wegen der Generaldirektion der Staatsarchive den Ausschlag gegeben. Er, F., habe den Kampf gegen E. geführt und habe in diesem Kampf gesiegt. Wenn ich mit E. gehe, so werde er auch gegen mich kämpfen; er komme wie die Römer zu den Karthagern und trage Krieg oder Frieden in seiner Toga.
Noch während seiner Rede gelang es mir, meine Antwort einigermaßen zu überlegen. Ich stellte zunächst fest, daß ich mit Engels Leitung von Anfang an einverstanden gewesen sei, meinerseits die Leitung nicht im geringsten erwartet habe; dass ich dem Ministerium die Spitze des kleinen Fingers gereicht, habe mich wiederstrebend in das Amt gebracht; mein Verhältnis zu E[ngel] sei dadurch nicht getrübt worden; er habe sich aus freiem Willen zurückgezogen und ich habe ihm – hier stimmte F. lebhaft zu – geraten, sich durch eine grosse wissenschaftliche Leistung das Fundament der allgemeinen Anerkennung im Fach zu schaffen; dann könne es ihm in der Zukunft nicht fehlen.
Ein dazwischen tretendes Telefongespräch für Herrn F. gab mir Gelegenheit zu nochmaliger Überlegung. Fortfahrend erklärte ich Herrn F., bei der Führung meines Amtes müsse ich mich ausschließlich von wissenschaftlichen Erwägungen leiten lassen. Herr E[ckhardt] sei eine so bedeutende wissenschaftliche Kraft, daß ich seine Mitarbeit nicht ersetzen könne, zumal deshalb, weil E. im Begriffe sei, die wichtigsten und wertvollsten Rechtsquellen aus eigener Hand ausserhalb der Monumenta zu veröffentlichen. Aber meinerseits beabsichtige ich nur, E., wenn er bereit sei, die Ausgabe einzelner Rechtsquellen bzw. einzelner Quellengruppen für die M.G. zu übertragen. Eine Abteilungsleitung Leges bestünde gar nicht mehr. Herr Heymann fühle sich von früher her noch als Abteilungsleiter und ich lasse ihn gern und dankbar in seiner bisherigen Weise weiterwirken, schon um der wertvollen Verbindungen willen, über die er verfügt und durch die er die Finanzierung der von ihm betreuten Arbeiten frei ganz ohne Beteiligung der M.G. selbst bisher gesichert habe. Durch diese Stellung H[eymann]s werde so wie so ausgeschlossen, daß E[ckhardt] in eine „führende“ Stellung einrücke. Aber seine Mitarbeit müsse ich wünschen und wenn möglich - sicher sei nicht, ob es dazu komme – erreichen. Wenn er F. darum Krieg mit mir führen wolle, so möge er es tun. Ich sei auch meinerseits bereit und Manns genug dazu.
Herr F. wendet von seinem Standpunkt ein, dass E[ckhardt], wenn er zur Mitarbeit gelange, wieder in das RI hineinkomme, sich von dem schweren Schlag, den er erhalten, „erholen“ und wieder „zu Atem kommen werde“. Ich erwiderte, daß Herr E. kraft seiner Fähigkeiten immer eine bedeutende wissenschaftliche Rolle spielen werde, könne Herr F. so wie so nicht verhindern. Ich selbst glaube nicht daran, daß er bei späterer Gelegenheit je wieder für die Leitung der M.G. in Betracht kommen werde, da er zu einseitig Jurist sei, der Leiter müsse normaler Weise ein allgemeiner Historiker mit hilfswissenschaftlicher Grundlage sein.
Stengel


Helmut Heiber, Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands (1966) v.a. S. 858-866.


Anne C. Nagel, Im Schatten des Dritten Reichs, Mittelalterforschung in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1970 (2005) v.a. S. 41-44.


Hermann Nehlsen, Karl August Eckhardt †, in: ZRG Germ. 104 (1987) S. 497-539.


Gerd Simon, Chronologie Eckhardt, Karl August (2007): http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/ChrEckhardt.pdf (Quellenangaben zu Karl August Eckharts NS-Aktivitäten)


Mehr zu dieser MGH-Archivalie im Beitrag von Arno Mentzel-Reuters: Das Reichsinstitut zwischen Ahnenerbe und Westforschung, in: ders. / Martina Hartmann / Martin Baumeister, Das Reichsinstitut für ältere deutsche Geschichtskunde 1935 bis 1945 – ein „Kriegsbeitrag der Geisteswissenschaften“? Symposium des DHI Rom und der MGH am 28./29. November 2019 (2021) S. 1-53, v.a. S. 26, S. 32.


Tagungsbericht: Das Reichsinstitut für ältere deutsche Geschichtskunde 1935 bis 1945 – ein „Kriegsbeitrag der Geisteswissenschaften“?, in: H-Soz-Kult, 25.01.2020, www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-127177


Amtsantritt von Edmund E. Stengel 2.12.1937 (Beitrag in der virtuellen Ausstellung zu jüdischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der MGH)