In loser Folge stellen wir Ihnen Stücke aus unserem Archiv und unserer Bibliothek vor. Hier finden Sie Raritäten wie auch Dokumente, die die Entwicklung der Monumenta Germaniae Historica prägten; sowie Schriftstücke, die Einblick in die Jahre der NS-Diktatur geben. Die MGH wünschen viel Spaß auf der Entdeckungsreise!
Im MGH-Archiv ist zwischen Unterlagen zur Vorbereitung des 19. Deutschen Historikertages im Juli 1937 in Erfurt ein Zeitungsartikel erhalten, in dem der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund mit agitatorischem Vokabular seine Vorstellungen zur Aufgabe der Geschichtswissenschaften kundtut und das Programm des Historikertags kritisiert (Programm des 19. Historikertages siehe untenstehende Abbildungen). „Unsere Zeit ist erfüllt von einem gewaltigen Kampf der Geister. Wir ringen um die totale Erfassung und Erziehung jedes deutschen Menschen“ schreibt der anonyme Autor. Auch die Geschichtswissenschaft müsse dieses Ziel verfolgen. „Zeitgemäß ist für den nationalsozialistischen Historiker das, was der Wahrheit und dem völkischen Kampfziel dient. Wir sind beglückt, (…), daß die Probleme des Judentums und des volkstumspolitischen Grenzkampfes abgehandelt werden. Aber wir sind enttäuscht, zutiefst enttäuscht, daß kein einziges Thema sich mit den katholisch-priesterlichen Problemen deutscher Vergangenheit befaßt.“ Von den Forschern werde erwartet, „jene Kräfte klar herauszustellen, die im Werdeprozess des deutschen Volkes durchweg destruktiv gewirkt haben“.
Organisiert wurde der Historikertag vom Verband Deutscher Historiker und dem Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertums-Vereine zusammen mit den zwei Reichsinstituten, dem Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschland und dem Reichsinstitut für ältere deutsche Geschichtskunde, den ehemaligen Monumenta Germaniae Historica (zur Umwandlung der MGH in eine nationalsozialistische Reichsbehörde siehe Folge 13 und 14). Im März 1937 hatte der nationalsozialistische Historiker Walter Platzhoff den Vorsitz des Verbandes Deutscher Historiker übernommen. In seinem ersten Rundbrief an die Mitglieder schrieb er über den geplanten Historikertag 1937: „Da dies die erste Zusammenkunft des Verbandes nach dem Umbruch sein wird, soll sie einen repräsentativen Charakter tragen; das Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschland und das Reichsinstitut für ältere deutsche Geschichtskunde (Monumenta Germaniae historica) werden Mitträger der Erfurter Tagung sein“ (MGH-Archiv B 545,2, Bl. 162).
Einen Tag nach Erscheinen des Zeitungsartikels am 27.4.1937 hatte Wilhelm Engel, der kommissarische Leiter der MGH, eine Besprechung mit dem stramm nationalsozialistischen Historiker Gerhard Schröder, Geschäftsführer des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschland und Vertrauter des NS-Ideologen Walter Frank. Die Kritik des nationalsozialistischen Studentenbundes konnte offensichtlich nicht stillschweigend übergangen werden, auch wenn die Organisatoren des Historikertags „ein gutes Gewissen“ hatten, wie Walter Platzhoff, Vorsitzender des Verbandes Deutscher Historiker, am 4.5.1937 an Engel schrieb: „Den Artikel in der „Bewegung“ habe ich zuerst in einem Abdruck in der „Frankfurter Zeitung“ gelesen. Er hat mich nicht gestört, da wir ja ein gutes Gewissen haben“ (B 545,2, Bl. 150).
Zur Klärung der Angelegenheit sah sich Engel genötigt, noch eine schriftliche Erläuterung an Gerhard Schröder – und damit an Walter Frank - nachzuschieben: „Unsere heutige Besprechung über den Artikel, der in der Zeitung ‚Die Bewegung‘ erschienen ist, möchte ich für das Mittelalter Ihnen schriftlich noch dahin ergänzen: Ich halte die in dem Artikel geforderte scharfe Herausstellung einer antikatholischen Themensetzung für unerwünscht und auch taktisch für unklug. Der Historikertag, dessen internationale Bedeutung außer Frage steht, soll politisch für das Reich werben, ohne daß die Themen von vornherein eine politische Etikette tragen. Der politische Inhalt des Vortrags scheint mir bedeutsamer als die politische Formulierung des Themas. (…) Kurz und gut – wenn der Artikelschreiber sich über die Themen wirklich wissenschaftlich und verantwortungsbewußt ernst Gedanken gemacht hätte, dann hätte er Inhalt und Sinn der Vorträge begriffen oder begreifen müssen. Der Artikel spricht nicht für eine sorgsame Durchdenkung der Erfurter Themen, eher für einen bewußten Angriff gegen unsere gemeinsam durchgesetzte Linie, die politischen Blick und wissenschaftliche Arbeit verbinden will. Bitte unterrichten Sie Walter Frank mit schönen Grüßen von meiner Äußerung“ (B 545,2, Bl. 148).
Einen Monat zuvor hatte Papst Pius XI. die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ in deutscher Sprache veröffentlicht, in der er das NS-Regime verurteilte. Die deutschen Bischöfe mussten bei der Verbreitung der Enzyklika mit größter Geheimhaltung vorgehen. Dennoch wurden in den meisten Bistümern Abschriften an die Geistlichen gesandt; die Bischöfe der Bistümer München, Münster und Speyer ließen Sonderdrucke in hohen Auflagen drucken. Am Palmsonntag, 21. März 1937, wurde die Enzyklika in allen katholischen Gemeinden verlesen. Enteignungen, Publikationsverbote und Verhaftungen waren die Folge.
Die Hetze des Zeitungsartikels gegen katholische Priester und namentlich gegen die Jesuiten kündigt schon an, was wenige Jahre später brutale Wirklichkeit wurde: Auch Ordensleute und Priester wurden in den Konzentrationslagern des NS-Regimes gequält und umgebracht.
A. Marquard-Mois
Mehr zu dieser MGH-Archivalie im Beitrag von Benedikt Marxreiter: „Zeitgemäß ist, was dem völkischen Kampfziel dient“. Der NSD-Studentenbund und das Programm des 19. Deutschen Historikertags. In: Mittelalter lesbar machen. Festschrift 200 Jahre Monumenta Germaniae Historica, 2019, S. 216-218.