Aktuelles , Veranstaltungen | 05. Jul. 2021

Online-Vortrag: „Gelebter Nationalsozialismus“ - der MGH-Editor Heinz Zatschek

Trotz Fußball-EM und Sommeranfang wurde auch der dritte Vortrag in der neuen MGH-Reihe "Vorträge zur Geschichte der Mittelalterforschung" am 1.7.2021 mit großem Interesse wahrgenommen. Angesichts des Schicksals der jüdischen Nachbarn von Heinz Zatschek, denen Karel Hruza anhand glücklicher Archivfunde auf die Spur gekommen war, war die Betroffenheit der Zuhörerschaft groß; gleichzeitig bestand in der anschließenden Diskussion Konsens über den hohen Wert solcher mikrohistorischer Forschungen.


Der in Wien geborene Heinz Zatschek (1901–1965) arbeitete fast 20 Jahre lang als Editor an drei MGH-Projekten, nämlich den Urkundeneditionen Lothars III. und Konrads III. und an seinem wichtigsten Vorhaben, den Briefen Abt Wibalds von Stablo. In den Jahren 1929–1941 und 1942–1945 lehrte er an der Deutschen Universität in Prag und empfand sich als Sudetendeutscher. Für drei Semester wirkte er 1941/2 an der Universität Wien. Seit Mitte der 1930er Jahre ließ Zatschek in steigendem Maß seine politische Gesinnung als Völkischer bzw. als Nationalsozialist in seine Lehre und Forschung eindringen. Als Konsequenz aus dieser seiner Politisierung legte er 1942 alle seine Arbeiten an MGH-Projekten nieder, um sich unbehindert von der Belastung mit „faden“, d.h. letztendlich auch politisch nicht ergiebigen Editionen einer Lehre und Forschung ganz im Sinn des NS-Regimes zu widmen. Diese Positionierung verschaffte Zatschek auch persönliche Kontakte zu Funktionären der SS in Prag, die er, zumindest in einem Fall, auch für private Belange nutzen wollte.


Zatscheks Wunsch nach dem Randzimmer einer Judenwohnung 1942 in Prag 


Ausgehend von einem Brief des SS-Sturmbannführers Walter Jacobi an Zatschek vom März 1942, in dem das „Randzimmer“ einer „Judenwohnung“ thematisiert wird, verfolgte Karel Hruza den Kontext einer Wohnungsarisierung in der Prager Neustadt. Dabei versuchte er, Wege von Hausbewohnern jüdischer Herkunft auf Basis von Quellen aus tschechischen und schweizerischen Archiven zu ergründen und die Rolle des Ehepaares Heinz und Hilde Zatschek zu beschreiben.


Dr. Karel Hruza, MAS, studierte Geschichte und Politikwissenschaft in Konstanz und Wien und ist Absolvent des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung in Wien. Neben seiner hauptamtlichen Tätigkeit als Mediävist am Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien widmet er sich wissenschaftsgeschichtlichen Themen des 20. Jahrhunderts, zuvorderst der Biografie Heinz Zatscheks. Er ist Herausgeber des dreibändigen Werkes „Österreichische Historiker. Lebensläufe und Karrieren 1900–1945“ (2008–2019).