Aktuelles , Schätze aus Archiv und Bibliothek | 22. Okt. 2020

Schätze aus 200 Jahren MGH-Geschichte - Folge 13: Hintergründe eines einfachen Behördenvorgangs

In loser Folge stellen wir Ihnen Stücke aus unserem Archiv und unserer Bibliothek vor. Hier finden Sie Raritäten wie auch Dokumente, die die Entwicklung der Monumenta Germaniae Historica prägten; sowie Schriftstücke, die Einblick in die Jahre der NS-Diktatur geben. Die MGH wünschen viel Spaß auf der Entdeckungsreise!


Ab dem 1. April 1935 gab es keine gelehrte Gesellschaft namens MGH mehr, sondern eine Reichsbehörde, das „Reichsinstitut für ältere deutsche Geschichtskunde (MGH)“. Acht Monate nach Amtsantritt ließ sich daher der neue Leiter der MGH, der 31-jährige Landeshistoriker und Archivar Wilhelm Engel, seit 1933 Mitglied der NSDAP und der SS, von seinen „Herren Mitarbeitern“ am 8.12.1936 per Gegenzeichnung bestätigen, dass sie Briefbögen mit dem offiziellen Briefkopf des „Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde“ nicht eigenständig verwenden dürfen. Zeichnungsberechtigt war nur Wilhelm Engel selbst und Hans-Eberhard Lohmann als Geschäftsführer. In seinem Jahresbericht 1936 betonte Engel, dass es galt, „dem Reichsinstitut, das formal schon seit dem 1. April 1935 besteht, die verwaltungsmäßige Arbeitsgrundlage zu schaffen, auf der sein planvoller, in den Satzungen festgelegter Ausbau zum organisatorischen Mittelpunkt aller der Erforschung und Darstellung mittelalterlicher deutscher Geschichte dienenden Bestrebungen möglich ist.“ (Jahresbericht 1936, S. 583)


Der „unbedarfte Provinzarchivar“ Wilhelm Engel, wie ihn Fuhrmann charakterisierte, folgte auf Paul Fridolin Kehr, den „Geschmeidigen und Listenreichen“, wiederum mit Fuhrmann gesprochen (zu Kehr siehe Folgen 11 und 12). Engel hatte dank seiner Partei-Verbindungen 1935 aus dem thüringischen Archivdienst auf einen Referentenposten in das Reichswissenschaftsministerium gewechselt. Im Machtkampf zwischen den nationalsozialistischen Historikern Walter Frank und Karl August Eckhardt diente Engel nur als Schachfigur. Frank wollte Eckhardt ausbooten und initiierte, dass Wilhelm Engel anstelle von Eckhardt am 25.3.1936 zum kommissarischen Leiter des Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde ernannt wurde.


Als „Herren Mitarbeiter“ unterzeichneten die Verfügung (von links oben nach rechts unten): Nelly Ertl, Karl Jordan, Dietrich von Gladiß, Carl Erdmann, Johannes Ramackers, Karl Strecker, Fritz Weigle, Ernst Perels und Theodor Schieffer. Bezeichnend für die Zeit: Die Historikerin Nelly Ertl war einer der „Herren Mitarbeiter“.

Leider wird in dem Jahresbericht zu 1936 nicht auf die Beschäftigungsverhältnisse eingegangen. Das Reichsinstitut verfügte über so gut wie keine Personalstellen, die Mitarbeiter hatten Stipendien oder waren schlecht bezahlte freie Mitarbeiter. Kurz vor seinem Amtsantritt als Leiter des „Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde“ hatte Engel im Februar 1936, noch als Referent im Reichswissenschafts-ministerium eine Anfrage bezüglich Forschungsaufträgen an jüdische Wissenschaftler gestellt und die Auskunft erhalten, dass keine Bedenken bestünden gegen die „Aufrechterhaltung und Neuerteilung von Forschungsaufträgen an entpflichtete oder pensionierte Juden. Forschung ist keine obrigkeitliche Tätigkeit. Sie kann auch lediglich im Privatdienstvertrag ausgeübt werden. (…) Politisch gesehen, ist die Kündigung alter Forschungsaufträge untunlich. Die Erteilung neuer dagegen möglichst zu vermeiden.“ (zitiert nach Oberling, S. 198) An diese Vorgabe hielt sich der neue Leiter und ließ Ernst Perels als freien Mitarbeiter an seinem – bereits 1931 erteilten – Auftrag in den Räumen der MGH arbeiten, obwohl dieser zwangspensioniert, weil jüdisch stämmig war. Im Jahresbericht 1936 nannte Engel Arbeitsprojekte und Mitarbeiter – nur den Namen von Ernst Perels sucht man bei seinem Forschungsauftrag, der Edition der Briefe Hinkmars von Reims, vergeblich.


Wilhelm Engel konnte sich auf seinem Leitungsposten nicht lange halten. Auf Betreiben des Nachrichtendienstes der SS, des sogenannten „Sicherheitsdienstes“ (SD), dem Wilhelm Engel eigentlich zuarbeiten sollte, wurde der Archivar und Landeshistoriker bereits nach gut einem Jahr seiner Leitungsfunktion wieder enthoben und auf einen Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte an der Universität Würzburg abgeschoben.

A. Marquard-Mois


Engel, Wilhelm: Reichsinstitut für ältere deutsche Geschichtskunde (Monumenta Germaniae Historica). Jahresbericht 1936, in: Deutsches Archiv für Geschichte des Mittelalters 1 (1937), S. 582-591. (digizeitschriften.de)


Bünz, Enno: Die Monumenta Germaniae Historica 1819-2019. Ein historischer Abriss. Digitaler Sonderdruck, S. 12. (PDF)
Gedruckt in: Mittelalter lesbar machen. Festschrift 200 Jahre Monumenta Germaniae Historica, 2019, S. 15-36.


Fuhrmann, Horst: "Sind eben alles Menschen gewesen." Gelehrtenleben im 19. und 20. Jahrhundert. München 1996, S. 58ff. (PDF)


Oberling, Ines: Ernst Perels (1882-1945). Lehrer und Forscher an der Berliner Universität. Bielefeld 2005.


Mehr zu dieser MGH-Archivalie im Beitrag von Karel Hruza: Ordnung muss sein, auch in der Behörde „Reichsinstitut für ältere deutsche Geschichtskunde“ – Über einen ausdrücklichen Wunsch Wilhelm Engels von 1936.