Aus der Geschichte der Poetae
Die Edition lateinischer Dichtungen gehörte seit 1824 zu den Editionsvorhaben der Monumenta Germaniae Historica. Aber erst nachdem der Sturz Georg Heinrich Pertz (August 1874) den Weg für eine Neukonstituierung der Zentraldirektion (1875) freigemacht hatte und ein neuer Zuschnitt des Arbeitsplanes beschlossen worden war, nahm Ernst Dümmler 1876 die editorische Arbeit an den Poetae Latini medii aevi auf. Sie waren mit den Nekrologien (Necrologia Germaniae) und Memorialbüchern (Libri memoriales) in der Abteilung Antiquitates zusammengefaßt, der Dümmler vorstand. Bereits 1881 und 1884 konnten die beiden ersten Bände mit Dichtungen der Karolingerzeit (hier aus den Jahren 730-860) erscheinen, in denen die prominentesten Dichter der Zeit Karls (Alkuin, Theodulf) vertreten waren. Ältere sollten der Abteilung Auctores antiquissimi, die unter der energischen Leitung Theodor Mommsens stand, vorbehalten bleiben.
Für Ernst Dümmler waren die Poetae nur eines von vielen Arbeitsfeldern, die er bei den MGH bestellte: Er besorgte maßgeblich die dreibändige Ausgabe der Libelli de lite imperatorum et pontificum (1891-1897) und die Bände 3-6 der Epistolae mit Briefen der Merowinger- und Karolingerzeit (1892-1902), darunter diejenigen Alkuins.
Ernst Dümmler (1830-1902) Schriftprobe 1 (Karte Dümmlers an Mommsen, 1882) Schriftprobe 2 (Abschrift der Gesta Apollonii) Schriftprobe 3 (Kollation der Ecloga Modoins von Autun) |
Über Dümmlers asketische Lebensweise berichtet Robert Holtzmann: Seinen von Natur nicht besonders starken Körper hat er mit großer Willenskraft abgehärtet, durch ein tägliches Schwimmbad im Sommer und Winter, durch Fußmärsche und andere Leibesübungen gekräftigt. Er lebte außerordentlich sparsam und nach festen Regeln, die kein Über-die-Stränge-Schlagen zuließen. In der Eisenbahn fuhr er dritter Klasse, und noch in Berlin benutzte der Geheime Rat, wenn es einmal ohne Wagen nicht abging, nur eine Droschke zweiter Klasse, und wer die gekannt hat, der weiß, was das bedeutet. Alles überflüssige Beiwerk, sogar die Knöpfe an der Kleidung, war ihm verhaßt. Stahlfedern brauchte er nicht. Er schrieb bis zuletzt mit selbstgeschnittenem Gänsekiel; und die steilen, mit gewissenhafter Deutlichkeit gemalten Züge sind für das Wesen dieses Mannes bezeichnend. Er war anspruchlos und kindlich bescheiden; nie mochte er von sich selbst sprechen. (zitiert nach FUHRMANN
, «Sind eben alles Menschen gewesen» S. 54f.)
Beim ersten Band unterstützte Wilhelm Wattenbach Dümmler bei den Korrekturen. Für den zweiten Band der Poetae (1884) gewann er als Helfer Max Manitius, Mittellateiner und Autor einer dreibändigen Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters (München 1911-1931). Manitius versuchte auf dem Weg des Hilfsarbeiters – er fertigte auch Similienverzeichnisse zu Band 4, 1 (1881) der Auctores antiquissimi mit den Dichtungen des Venantius Fortunatus an – selbst zum Editor für die MGH aufzusteigen und bot sich – vergeblich – für die Edition des Eugenius Toletanus an.
Max Manitius (1858-1933) Schriftprobe (Brief an Theodor Mommsen, 1882) |
Auf dem Weg zum ersten Band der Poetae
Nachdem 1879 Dümmlers umfangreiche Vorarbeiten zur handschriftlichen Überlieferung der Dichtungen der Karolingerzeit im Neuen Archiv erschienen waren, begannen noch im selben Jahr die Vorbereitungen für die sukzessive Drucklegung des ersten Poetae-Bandes.
Der Entwurf orientierte sich an der Gestaltung der Auctores antiquissimi, wie überhaupt Waitz für eine möglichst große Übereinstimmung der einzelnen Abteilungen votierte.
Nach einigen Modifikationen – so wurde die seitenweise Zeilenzählung für Text und Apparate aufgegeben – wurden daraus die Seiten 24-25 des ersten Poetae-Bandes:
Beginn der Vorrede zum ersten Band der Poetae (1881)
Dümmler war sich der Mängel der binnen weniger Jahre entstandenen Edition bewußt und rechnete damit, daß der Gärtner, wie er anschaulich in der Vorrede formulierte, der von bunten und entlegenen Wiesen Blumen zusammengetragen habe, die hoffentlich Liebhaber anlockten, auch Kritik ernten werde. Die weitere Bearbeitung der Dichtungen des 9. Jahrhunderts legte er in die Hände des jungen Mittellateiners Ludwig Traube. Dümmler war auf ihn aufmerksam geworden durch eine Rezension, die der Gymnasiast Traube seiner in Halle 1877 erschienenen Ausgabe der Gesta Apollonii (Gesta Apollonii regis Tyrii metrica ex codice Gandensi) gewidmet hatte. Bereits im Vorwort des ersten Poetae-Bandes dankt er Traube und dem Editor des Sedulius im Corpus scriptorum ecclesiasticorum Latinorum (CSEL), Johann Huemer, für Ergänzungen zum ersten Faszikel.
Ludwig Traube (1861-1907) Schriftprobe (aus einem Brief an Dümmler) Handreichung zur Traube-Ausstellung 2007 |
Paul von Winterfeld (1872-1905) Schriftprobe (Arbeitsexemplar zur Hrotsvit-Ausgabe) |
Karl Strecker (1861-1945) Schriftprobe (aus einem Brief an Otto Schumann) |
Norbert Eickermann (Fickermann; 1905-1995) Schriftprobe (Entwurf eines Briefes) |
Bernhard Bischoff (1906-1991) Schriftprobe (Notizzettel Bischoffs) |
Literaturhinweise
Geschichte der Monumenta Germaniae historica, im Auftrage der Zentraldirektion bearbeitet von Harry BRESSLAU, Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 42 (1921) S. 1-769, besonders S. 604-608, 700-704, 745-746.
Horst FUHRMANN,
«Sind eben alles Menschen gewesen»
. Gelehrtenleben im 19. und 20. Jahrhundert, dargestellt am Beispiel der Monumenta Germaniae Historica und ihrer Mitarbeiter. Unter Mitarbeit von Markus WESCHE (1996).
Zur Geschichte und Arbeit der Monumenta Germaniae Historica. Ausstellung anläßlich des 41. Deutschen Historikertages München, 17.-20. September 1996. Katalog, Redaktion: Alfred GAWLIK (1996).
Helmut BOESE, Nachruf Norbert Eickermann, Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 51 (1995) S. 723-726.
Ulrich LÖER, Ein Gelehrtenleben für das Latein des Mittelalters: Norbert Eickermann (Fickermann). Ein Beitrag zur Geschichte der Monumenta Germaniae Historica, Mittellateinisches Jb. 31 (1996) S. 4-19.
Harry BRESSLAU, Ludwig Traube. Ein Nachruf, Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 33 (1908) S. 539-547.
Ludwig TRAUBE, Vorlesungen und Abhandlungen, hg. von Franz BOLL, erster Teil: Zur Paläographie und Handschriftenkunde, hg. von Paul LEHMANN. Mit biographischer Einleitung von Franz BOLL (1909 / ND 1965) S. XI-XLVII.
Theodor Mommsen und die Monumenta Germaniae Historica. Katalog zur Ausstellung der Monumenta Germaniae Historica anläßlich des 100. Todestages von Theodor Mommsen am 1.11.2003, Konzeption und Kataloggestaltung: Arno MENTZEL-REUTERS, Mark MERSIOWSKY
, Peter ORTH
(2003).
Eine erweiterte französische Fassung dieses Katalogs ist unter dem Titel Théodore Mommsen et le Moyen Âge im Jahr 2004, eine überarbeitete Ausgabe der deutschen Version unter dem Titel Phönix aus der Asche im Jahr 2005 erschienen.
Zuletzt bearbeitet am 14. Oktober 2007 durch Prof. Dr.
Peter Orth
© Monumenta Germaniae Historica, 2004